Der Weinrebell vom Gut Frederiksdal
Wie Harald Krabbe mit Kirschwein eine friedliche Revolution startete
Wo sich eine Tür schließt, öffnet sich eine neue, heißt es. Mit der Globalisierung geriet das traditionsreiche Kirschsaft-Unternehmen seiner Familie ins Wanken. Dies brachte den dänischen Landwirt und Gutshausbesitzer Harald Krabbe auf eine neue Idee: Warum nicht stattdessen Wein produzieren aus den roten Früchten, die nirgendwo so gut wachsen wie auf der Insel Lolland? Seither hat sich die Kirschwein-Manufaktur aus Frederiksdal weltweit einen guten Ruf erarbeitet – und obendrein hält sie ein Anwesen am Laufen, das mittlerweile in der dritten Generation geführt wird.
Alle Bilder in diesem Artikel dürfen mit freundlicher Genehmigung von Gut Frederiksdal verwendet werden.



Text von Annika Kiehn, Juli 2021
Der Alltag eines Entrepreneurs ist ein Zusammenspiel aus Versuch und Irrtum, unter der Prämisse möglichst viele „Neins“ auszublenden und stattdessen lieber ein neues „Ja“ ausfindig zu machen. Auch das Leben von Harald Krabbe verläuft nach diesem Modus. Grund dafür ist vor allem ein prächtiges weißes Gutshaus, das inmitten einer grünen Kulisse, unmittelbar an der Ostseeküste der dänischen Insel Lolland-Falster weilt. Dank seines umtriebigen Wesens erstrahlt dieses Jahrhunderte alte Haus immer noch und seit einer umfassenden Restoration wieder in neuem Glanz.
„Es ist ziemlich dekadent, ich weiß“, sagt Harald Krabbe. „Es symbolisiert den Erfolg eines Menschen, der nicht wusste, wohin mit seinem Geld und den Drang verspürte, anzugeben. Nun ist es mein Erbe, was soll ich machen. Wie sagte ein dänischer Landbesitzer einst: ‚Mein Erbe ist meine Freiheit.“ Er lächelt dabei und erklärt weiter: „Es ist Dein vorbestimmter Weg, Du hast keine andere Wahl – und dasselbe trifft auf mich zu. Wenn ich in diesen Tagen mit jungen Leuten spreche, fühle ich eine unglaubliche Verlorenheit, die von ihnen ausgeht. Sie haben so viele Möglichkeiten, dass sie daran scheitern, weil sie nicht wissen, welcher sie nachgehen sollen. Ich habe Glück, meine Aufgabe ist es schlicht und einfach, mich um dieses Anwesen zu kümmern.“
Harald Krabbe, ein Mann in seinen frühen Fünfzigern, wurde als ältestes von fünf Kindern geboren, zugehörig zu einer Familienlinie, die weit in die Geschichte zurückreicht. Gemäß der Tradition galt ihm als Erstgeborener das Vorrecht, den Familiensitz weiterzuführen. „Ich erinnere mich noch genau, als ich 14 Jahre alt war und mein Vater mich fragte: ‚Willst Du es?‘ Und ich sagte: ‚Ja‘. Seit nahezu einem Vierteljahrhundert führt Harald Krabbe die Gutsanlage in Frederiksdal fort, die sein Großvater 1956 gekauft hatte. Es heißt, das Gut sei 1305 erbaut worden, das Gutshaus 1756 zunächst im barocken Stil. Krabbe ist gelernter Landwirt, der sich auf den Anbau verschiedenster Getreidesorte, Grass-Samen und Agroforst spezialisiert hat. „Selbst wenn ich dieses Gut nicht geerbt hätte, wäre ich Landwirt geworden, einfach, weil ich es liebe, einer zu sein.“ Doch die Branche werde zunehmend herausfordernder, angesichts der schwankenden Natur der internationalen Märkte, wie er zugibt. Eine schwierige Voraussetzung, um ein Gutshaus zu halten. „Ein Haus von solcher Größe ist unglaublich teuer im Unterhalt, und da ich es gern behalten möchte, muss ich permanent nach Wegen suchen, es zu finanzieren.“ Denn 2000 Quadratmeter Wohnfläche zu heizen, ist kein Pappenstiel. Doch wie sich bereits mehrfach bestätigt hat, ist Geldnot ein wesentlich er Antrieb für Kreativität. Gepaart mit dem richtigen Timing wird dabei so manch große Idee geboren.

„Diese Gutsanlage ist meine Bestimmung und ich habe sehr viel Spaß dabei, diese zum Besten auszuleben.“ Harald Krabbe, Besitzer von Gut Frederiksdal
Harald Krabbe ist einer dieser Menschen, der permanent die dunkle Höhle der Zukunft auszuleuchten versucht. Und wenn er erst einmal etwas für sich entdeckt hat, beißt er sich fest. So auch bei der Restauration des Gutshauses. Alle Fenster wurden nach der altbewährten Methode des Laugens in einen tiefen Tank mit Leinöl getunkt, um die Haltbarkeit des Holzes zu stärken. Ein zeitaufwendiger und teurer Aufwand, der sich jedoch aus seiner Sicht rechtfertigt. „Das ist das Einzige, was für mich zählt: die nachhaltige Sicherung von Frederiksdal und all seiner Einzelteile.“
Das Leben von Harald Krabbe folgt einer simplen Haltung: „Alles, was ich tue, tue ich gern. Was das Gutshaus betrifft: Ich wurde ausgewählt, um für eine Weile darauf aufzupassen, und nicht mehr. Aber ich finde es hochgradig spannend.“ Er lächelt als habe er dafür stets einen Plan B, C, und D in seiner Schublade parat. Anfang der 2000er Jahre begann diese Art des Umdenkens, als mit der zunehmenden Globalisierung das traditionsreiche Kirschsaft-Geschäft seiner Familie ins Wanken geriet. Anfangs plante Krabbe, die Kirschbäume zu fällen und stattdessen Getreide anzubauen. Zum Glück kam der Besuche eines guten Freundes dazwischen. 2006, bei einem gemeinsamen Spaziergang durch die Plantage probierte dieser die Kirschen, eine alte dänische Sorte namens stevnskirsebær. „Und dann sagte er: Wir sollten Wein damit machen.“ Ein simples ‚Okay!‘ con Harald Krabbe markiert den Beginn einer seither währenden Reise des Weinkelterns, das nach mehr als 15 Jahre weltweit für Furore sorgt. Allem voran ein drei Wochen Roadtrip, bei dem sich das befreundete Trio durch die Welt des Weins trank, in Frankreich, Spanien und Italien. „Ich würde sagen, wir sind so etwas wie Seelenverwandte, wenn es um Essen und Wein geht. Wenn wir aus Einhundert Weinen drei Weine aussuchen sollten, würden wir vermutlich unabhängig voneinander dieselben auswählen.“
Sie entschieden sich für die klassische Methode des Kelterns und anschließender Gärung in Eichenfässern. „Wein zu produzieren ist wie die Entscheidung, Künstler zu sein. Du musst zunächst auswählen, welche Richtung Du einschlagen möchtest.“
Mittlerweile hat sich das „Frederiksdal Kirschwein Universum“, wie Harald Krabbe es nennt, mit etlichen Nebenprodukten gemausert, wie Likör, Vintage und Sue Lie. Durchschnittlich neun Jahre dauert es, bis die Kirschen als fertig gereifter Wein in Gläsern auf den Tisch kommen. Der besondere Geschmack liegt laut Krabbe in dem Terroir der stevnskirsebær. „Die Frucht hat hier in Lolland die perfekten Bedingungen gefunden, um sein vollkommenes Aroma zu entfalten. Sein Säuregehalt liegt in seiner DNA. Keine andere Kirsche auf dieser Welt kann da mithalten. Wir bauen auf einer Insel an, die nur knapp über dem Meeresspiegel liegt, daher gleichen unsere Felder einer Art Heizbank. Darum sind unsere Sommer etwas kühler und unsere Winter milder als in anderen nördlichen Regionen. Das Land ist sehr lehmhaltig, darum kann es gut Wasser speichern. Aus diesem Grund ist Lolland eine wunderbare Region, um Essen anzubauen“, sagt Krabbe, während er uns die Vielfalt dieses Wissens in Gläser einschenkt.
Aus der einst vagen Idee ist mittlerweile ein Unternehmen erwachsen, das die Zukunft von Frederiksdal langfristig sichern könnte, so hofft Harald Krabbe. Das Ziel: Den authentischsten Kirschwein zu produzieren, den die Welt je gesehen hat und eine der größten Winzerin des Nordens zu werden. „Dieses Projekt hat mein Leben nachhaltig verändert. Vor mehr als zehn Jahren saß ich weitestgehend allein in einem John Deere Traktor und jetzt fliege ich nach China oder in die USA, um Wein zu verkaufen. Es macht irre Spaß.“

Verkostungen auf Gut Frederiksdal
Wir haben jeden Tag geöffnet für Besuche und Verkostungen. Jeden Dienstag um 11 Uhr werden Führungen auf Englisch durch die Anlage angeboten (bis Ende August).
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